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La Stampa 10.10.2006


Mit 77 Jahren ist
Baumgartner, Österreicher,
ein Maler der Mythen, gestorben.
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Lorenzo Mondo

Addio Fritz Baumgartner, unvergesslicher Freund. Der Maler österreichischer Herkunft, der jedoch in München aufgewachsen ist, ist gestern im Alter von 77 Jahren gestorben. Er war eine herausragende Persönlichkeit, atypisch in der deutschen Kunstlandschaft. Er startete auf dem Weg des Expressionismus (unter seinen Lehrern war Oskar Kokoschka) mit Visionen eines Lebens der Katastrophen. Zerstörte Lebewesen mit leeren Augen und zerfetztem Fleisch. Neben seinem Giudizio Universale gedrängt voll mit verwirrten und wild gestikulierenden Figuren fand er die Inspiration für Eneide, in das seine Jugendängste flossen, entstanden in den rauchenden Ruinen von München, fühlend für ein brennendes und verlorenes Vaterland. Es ist eines der wenigen Bezüge auf das Trauma seiner Jugend und der Geschichte, das man wieder finden kann in seinem Werk Nuovi disastri della guerra, einem Zyklus von Zeichnungen angelehnt an Goya, in dem er die Grässlichkeiten und die Leiden darstellte, die von der Dekadenz des deutschen Naziregimes ausgingen (die Zeichnungen, kostbare Erwerbungen, gehören der Provinz von Turin)

Aber dann, ab den siebziger Jahren entwickelte er einen unverwechselbaren Stil, den er bis auf einige geringfügige Veränderungen beibehielt. Die Figuren werden von einer schwungvollen Linie begrenzt, ihre Farbgebung ist von aller höchster Reinheit, aber sie haben keine dekorative Funktion, sondern eine symbolische. Männer- und Frauengestalten füllen den Raum, die archaisch maskenhaften Gesichter mit rätselhaften hohlen Augen, Schießscharten gleich. Baumgartner sucht nun nach Inspirationen im antiken Griechenland der dionysischen Feste und der elysischen Mysterien und im Kontrast dazu, in der klassischen Tragödie. Seine Kunst, ausgeübt in der modernen Intensität der Acrylfarben, bleibt nunmehr mythisch, beispielhafter Ausdruck des menschlichen Erlebens. Jedoch fast in direktem Zusammenhang fließen Kreuzigungsmomente der christlichen Lehre ein. Es folgen Kreuzigungen, Pieta und Mutterschaft, als sakrales Zeugnis der zeitgenössischen Kultur. Er hat hier ein besonderes Zeichen gesetzt in den kongenialen Glasfenstern, die er für Kirchen und Klöster seines Landes schuf und im Evangeliar, in Schrift und Illustrationen in der Art mittelalterlicher Handschriften - ein in unserer Zeit einzig dastehendes Werk. Gerade ein Werk wie dieses gibt einen umfassenden Eindruck des unermüdlichen, asketischen Schaffens von Baumgartner und seinem Gesamtoeuvre. Nicht vergessen darf man dabei, neben dem Haupteindruck seiner Kunst, die Bilder der Bayerischen Landschaften - die Berge, die Bäume, die Dörfer - von märchenhafter Farbigkeit, wie eine nostalgisch Darstellung und Vorstellung einer anderen Welt, fern von Tumult und Gottlosigkeit.
Baumgartner war ein Wahlturiner. Entdeckt hat ihn Arturo Bottello und er hospitierte viele Male in der Galerie "L'Approdo", und er erwarb sich einen großen Sammlerkreis in Turin und in Italien. Er liebte diese Italien, schätzte die italienische Küche der einfachen Trattorien, er kannte den Wert der Freundschaft und übte sie aus. So verabschieden wir uns alle zutiefst bewegt von ihm, in der Erinnerung an sein außergewöhnliches Talent, aber auch an seine menschliche Liebenswürdigkeit, sein mildes Lächeln unter dem dichten Schnauzbart. Nach ein Mal: Addio Fritz.

 
Von Herrn Reinhard Müller Mehlis

Gradrede für Fritz Baumgartner am 19. Oktober 2006 auf dem Münchner Westfriedhof

Kürzlich noch, auf den 28. September, lud Fritz Baumgartner nach Regensburg ein zur Präsentation seiner Entwürfe für das Bildprogramm der neuen Fenster der dortigen Neupfarrkiche im Histroischen Museum und für den 20. Oktober in die Räume der Werkstätte Gustav van Treeck in die Münchner Schwindstraße, wo bis zum 27. Oktober seine Farbfenster für die Berliner Katholische Salvatorkirche gezeigt werden.
Im Sommer 1999 fab es zum 70. Geburtstag eine von ihm gestaltete gute Retrospektive im Ismaninger Kallmann-Museum. Erinnert wurde dort zugleich an Baumgartners bedeutendes Frühwerk der fünfziger Jahre, das Joseph Hierling Anfang 1992 in seiner damaligen Galerie an der Münchner Georgenstraße präsentiert hatte.
In der konsequenten Handhabung seiner graphischen Strukturen und deren Farbigkeit bewies Baumgartner eine Kontinuität und eine Fleiß ganz eigener Art. Was er Schuf, kannte keine Vorbilder, keine Einflüsse, keine Väter. Er war ganz und gar sein eigener Meister.
In seiner bescheidenen Atelierwohnung in einem Rückgebäude an der Loristraße, einem anspruchslos dimensionierten Künstler- und Wohnhaus der ersten Nachkriegszeit, und zuweilen wochen- und Monatelang in Turin und in Rom schuf er seine Bilder und graphischen Arbeiten. Zwischen Bergamo und Palermo wurde er wahrscheinlich der am häufigsten gezeigte und damit bekannteste deutsche Künstler der Gegenwart.
Sein zentraler Stützpunkt blieb Turin mit den Ausstellungen in den Galerien d'Arte Davico und Sant'Agostino jeweils in Zusammenarbeit mit dem dortigen Goethe-Institut. In Rom erprobte Baumgartner die Kombination von Aquatinta und Siebdruck; großformatige Siebdrucke entstanden in Turin. Ein weiterer Stützpunkt war zeitweise Amsterdam mit der Galerie d'Eendt. Die Gesamtzahl seiner Ausstellungen näherte sich wahrscheinlich der runden 100. Auch das kostete viel Arbeit für ihn.
Bis auf 140 und 50 Quadratmeter ausgedehnte Decken- und Wandbilder, seine Mosaike und Farbfenster nahmen ihn bereits seit 1959 in Anspruch. Sein Lehrer an der Münchner Akademie, Hermann Kaspar, zog nicht nur gute Zeichner heran, sonder war auch ein Meister der Wand- und Deckenmalerei, wobei er zuweilen seine Schüler beteiligte wie in der Münchner Bürgersaalkirche.
Baumgartner handgeschriebenes Evangeliar für alle Sonn- und Feiertage des Kirchenjahres, eine in neuerer Zeit einzigartige Leistung, wurde durch den von der Diözese Regensburg übernommenen Verlag Schnell & Steiner in 400 Exemplaren reproduziert und 1995 in einer Sonderaudienz vom Regensburger Diözesanbischof Müller in Rom Johannes Paul II. überreicht.
Zehn Jahre nach dem Erscheinen seines Buches "I nuovi disastri della guerra" von 1976 wurden 43 dazu angefertigte Zeichnungen vom Museo Nazionale del Risorgimento in Turin angekauft und in die dortige Dauerausstellung eingegliedert: Szenen, die sich auf Goya beziehen, voller Entsprechungen von Mord, Qual und Folter aus neuerer Zeit - eine Erschießung, Leichen im Stacheldraht, ein gehenkter Deserteur, zusammengepferchte Häftlinge, geschundene Opfer und salutierende Täter, die Phalanx der Helme und die Robe des Richters, uniformierte Staatsmacht und individuelle Todesangst.
Bevor sich Baumgartner seit den sechziger Jahren seinen persönlichen Stil der variablen Fäcltelungen, der Ein- und Ausstülpungen schuf, der Schraffuren und Schattierungen, hatte er bereits zwei Werkphasen hinter sich. Ausstellungen in der Münchner Städtischen Galerie von 1954, 1955 und 1960 hatten für Aufmerksamkeit gesorgt: ein stilistisch unabhängiger Einzelgänger wurde bemerkt als eine Alternative zur damals dominierenden ungegenständlichen Malerei. Baumgartner wurde als einer der wichtigsten Protagonisten einer neuen Figürlichkeit erkannt - einer aus der jüngeren Generation obendrein. Es folgten Ausstellungen im Nürnberger Universahaus 1954 und 1956 sowie in den Kunstverein von Köln, Tübingen und Mannheim 1961 bis 1964, wodurch Baumgartner auch in weiteren Regionen bekannt wurde.
Es waren mächtige, feste Volumina, die er da malte, Menschenbilder menschlich engagiert in der Form und Thematik, schwerblütig, doch in heller Farbigkeit, tragisch im Geschehen wie das Bild einer Straßenverkehr überfahrenen Frau: mit ihrer Tasche und den Blumen am Boden, ein symbolhaf herausgehobenes, zeittypisches Schicksal: Menetekel einer sich ausbreitenden Brutalität und Rücksichtslosigkeit. Das Familienbild von 1955 enthält keine Idyllik, sondern Bedrängnis, Angst und Not.
Mit einem französischen Staatsstipendium gelangte Baumgartner 1956 nach Paris, er verlängerte den dortigen Aufenthalt auf eigene Kosten bis 1958. Eingeschrieben war er an der Académie de la Grande Chaumière. Auch dort arbeitete er voller Fleiß, voller Drang zur menschlich engagierten Mitteilung, kompromißlos klar und formal verdichtet. Baumgartner saht sich in seinem künsterlichen Selbstbewßtsein bestätigt damals in Paris. Was ser dort malte ist größtenteils verschollen, zurückgelassen in Galerien, die nach dem Einbruch der amerikanischen Pop Art seit Mitte der sechziger Jahre aufgeben mußten.
Bald nach Baumgartners Rückkehr nach München kam es 1960 zum Paradigmenwechsel, zu einem Formwechsel. Aus den vormals gerundeten Körpern werden Skelette, aus den Lebenden nur noch Lemuren. Alles nun erschien als Endzeit, als ein memento mori, es wurden lauter Endzeit-Menetekel, in tragischen Verdüsterungen.
Wieso das? Ich sprach mit ihm eingehend darüber. Es war die Gegenreaktion des Künstler auf die Prosperity der deutschen Wirtschaftswunderwelt, nicht etwa Ergebnis einer persönlichen Not. Es war das Gefühl, als Künstler nun ausgegrenzt zu sein. Der Künstler wurde in einer Zeit politisch einschneidender Veränderungen in eine Sonderrolle abgedrängt. Wo äußerer Jubel herrschte, registrierte Baumgartner das Bedrohliche dieser Situation - und eine zunehmende Geringschätzung geistiger und verantwortungsbewußt künstlerischer Arbeit. Baumgartner erinnerte sich im Gespräch: " Man steht außerhalb und weiß gar nicht, warum alle jubeln. Das Leben - von einem Tag auf den anderen - geriet immer mehr zum deprimierenden Abenteuer." In der Bewahrung des eigenen Selbst erkannte Baumgartner: " Wer Zweifel äußerte, dem wurde die Lebensgrundlage entzogen." Künstler, die sich in engagierter Weise mit dem Menschen dieser Zeit, mit dem Bild des Menschen, beschäftigten, wurden in eine politisch linke Ecke gestellt, abgeschoben gleichsam in den östliche Teil Deutschland - als eine womöglich subversive Kraft. Für Baumgartner endete diese Phase der Düsternis 1962. In seinen Fältelungen, den Ein- und Ausstülpungen seit jenen Jahren, bis zu den grell getönten und magisch beleuchteten Figuraltänzen aus neuerer zeit ist vieles mythologisch und religiös definiert. Damit reüssierte er seit den siebziger Jahren vor allem in Italien. Seit 1983 wurde er im Rheinland durch die Düsseldorfer Galerie Blaeser vertreten, an deren Sommerkursen in der Eifel er noch lange Unterricht gab. In München war er für die Kirchen St. Maximilian und St. Benno tätig, in Wasserburg am Inn für St. Konrad. Sein erstes Farbfenster entstand 1966 für St. Josef in Puchheim bei München: "Das himmlische Jerusalem".
In der permanez seiner Methodik eng geführter, sich zu Brennpunkten hin verdichtenden Strichlagen und flächig gewölbter Illuminationen ist vieles von dem enthalten, was anders nicht sagbar zu sein schien, oft in verschlüsselter Weise. Ein höchst sensibles Gemüt entließ sich selber ins variable Schema einer zauberischen Welt der molluskenartigen Phantastik. Vieles blieb Sehnsucht, manches ist Satire. Es ist die Ironie des Romantikers, der alles miteinander verschmelzen läßt, oft aus dem Geheimen herausgestülpt. Die Sprache seiner Bilder zu entschlüsseln versuchte der in Impruneta bei Florenz ansässige Kunsthistoriker Florens Deuchler in seiner großen, 1998 bei Schnell & Steiner vorgelegten Monographie. Sie ist reich an eigenen Aussagen des Künstlers.
So ist alles getan, fast alles, meinen wir: ein vollendetes Künstlerleben, ein vielgestaltiges Werk, eine respektable Reputation. Im Parterre eines Hauses an der Münchner Heßstraße installierte er eine Art Privatmuseum.
Was ist zu tun? Gedenket meiner in Liebe und Demut, möchte er wohl sagen, weit über diesen Tag hinaus. Ihr habt mein Werk, meine Bild gewordene Sprache des Füreinanders, des Miteinanders, der Freude und der Einsamkeit. Ich habe gegeben, was in meinen Kräften stand, was mit meinen Mitteln möglich war. Meine körperlichen Kräfte mußten versagen, versiegen, doch Ihr habt die Kraft meiner Bilder.
Danke, Fritz Baumgartner.