Von Herrn Reinhard Müller Mehlis Gradrede
für Fritz Baumgartner am 19. Oktober 2006 auf dem Münchner
Westfriedhof
Kürzlich noch, auf den 28. September, lud Fritz Baumgartner
nach Regensburg ein zur Präsentation seiner Entwürfe für
das Bildprogramm der neuen Fenster der dortigen Neupfarrkiche im
Histroischen Museum und für den 20. Oktober in die Räume
der Werkstätte Gustav van Treeck in die Münchner Schwindstraße,
wo bis zum 27. Oktober seine Farbfenster für die Berliner Katholische
Salvatorkirche gezeigt werden.
Im Sommer 1999 fab es zum 70. Geburtstag eine von ihm gestaltete
gute Retrospektive im Ismaninger Kallmann-Museum. Erinnert wurde
dort zugleich an Baumgartners bedeutendes Frühwerk der fünfziger
Jahre, das Joseph Hierling Anfang 1992 in seiner damaligen Galerie
an der Münchner Georgenstraße präsentiert hatte.
In der konsequenten Handhabung seiner graphischen Strukturen und
deren Farbigkeit bewies Baumgartner eine Kontinuität und eine
Fleiß ganz eigener Art. Was er Schuf, kannte keine Vorbilder,
keine Einflüsse, keine Väter. Er war ganz und gar sein
eigener Meister.
In seiner bescheidenen Atelierwohnung in einem Rückgebäude
an der Loristraße, einem anspruchslos dimensionierten Künstler-
und Wohnhaus der ersten Nachkriegszeit, und zuweilen wochen- und
Monatelang in Turin und in Rom schuf er seine Bilder und graphischen
Arbeiten. Zwischen Bergamo und Palermo wurde er wahrscheinlich der
am häufigsten gezeigte und damit bekannteste deutsche Künstler
der Gegenwart.
Sein zentraler Stützpunkt blieb Turin mit den Ausstellungen
in den Galerien d'Arte Davico und Sant'Agostino jeweils in Zusammenarbeit
mit dem dortigen Goethe-Institut. In Rom erprobte Baumgartner die
Kombination von Aquatinta und Siebdruck; großformatige Siebdrucke
entstanden in Turin. Ein weiterer Stützpunkt war zeitweise
Amsterdam mit der Galerie d'Eendt. Die Gesamtzahl seiner Ausstellungen
näherte sich wahrscheinlich der runden 100. Auch das kostete
viel Arbeit für ihn.
Bis auf 140 und 50 Quadratmeter ausgedehnte Decken- und Wandbilder,
seine Mosaike und Farbfenster nahmen ihn bereits seit 1959 in Anspruch.
Sein Lehrer an der Münchner Akademie, Hermann Kaspar, zog nicht
nur gute Zeichner heran, sonder war auch ein Meister der Wand- und
Deckenmalerei, wobei er zuweilen seine Schüler beteiligte wie
in der Münchner Bürgersaalkirche.
Baumgartner handgeschriebenes Evangeliar für alle Sonn- und
Feiertage des Kirchenjahres, eine in neuerer Zeit einzigartige Leistung,
wurde durch den von der Diözese Regensburg übernommenen
Verlag Schnell & Steiner in 400 Exemplaren reproduziert und
1995 in einer Sonderaudienz vom Regensburger Diözesanbischof
Müller in Rom Johannes Paul II. überreicht.
Zehn Jahre nach dem Erscheinen seines Buches "I nuovi disastri
della guerra" von 1976 wurden 43 dazu angefertigte Zeichnungen
vom Museo Nazionale del Risorgimento in Turin angekauft und in die
dortige Dauerausstellung eingegliedert: Szenen, die sich auf Goya
beziehen, voller Entsprechungen von Mord, Qual und Folter aus neuerer
Zeit - eine Erschießung, Leichen im Stacheldraht, ein gehenkter
Deserteur, zusammengepferchte Häftlinge, geschundene Opfer
und salutierende Täter, die Phalanx der Helme und die Robe
des Richters, uniformierte Staatsmacht und individuelle Todesangst.
Bevor sich Baumgartner seit den sechziger Jahren seinen persönlichen
Stil der variablen Fäcltelungen, der Ein- und Ausstülpungen
schuf, der Schraffuren und Schattierungen, hatte er bereits zwei
Werkphasen hinter sich. Ausstellungen in der Münchner Städtischen
Galerie von 1954, 1955 und 1960 hatten für Aufmerksamkeit gesorgt:
ein stilistisch unabhängiger Einzelgänger wurde bemerkt
als eine Alternative zur damals dominierenden ungegenständlichen
Malerei. Baumgartner wurde als einer der wichtigsten Protagonisten
einer neuen Figürlichkeit erkannt - einer aus der jüngeren
Generation obendrein. Es folgten Ausstellungen im Nürnberger
Universahaus 1954 und 1956 sowie in den Kunstverein von Köln,
Tübingen und Mannheim 1961 bis 1964, wodurch Baumgartner auch
in weiteren Regionen bekannt wurde.
Es waren mächtige, feste Volumina, die er da malte, Menschenbilder
menschlich engagiert in der Form und Thematik, schwerblütig,
doch in heller Farbigkeit, tragisch im Geschehen wie das Bild einer
Straßenverkehr überfahrenen Frau: mit ihrer Tasche und
den Blumen am Boden, ein symbolhaf herausgehobenes, zeittypisches
Schicksal: Menetekel einer sich ausbreitenden Brutalität und
Rücksichtslosigkeit. Das Familienbild von 1955 enthält
keine Idyllik, sondern Bedrängnis, Angst und Not.
Mit einem französischen Staatsstipendium gelangte Baumgartner
1956 nach Paris, er verlängerte den dortigen Aufenthalt auf
eigene Kosten bis 1958. Eingeschrieben war er an der Académie
de la Grande Chaumière. Auch dort arbeitete er voller Fleiß,
voller Drang zur menschlich engagierten Mitteilung, kompromißlos
klar und formal verdichtet. Baumgartner saht sich in seinem künsterlichen
Selbstbewßtsein bestätigt damals in Paris. Was ser dort
malte ist größtenteils verschollen, zurückgelassen
in Galerien, die nach dem Einbruch der amerikanischen Pop Art seit
Mitte der sechziger Jahre aufgeben mußten.
Bald nach Baumgartners Rückkehr nach München kam es 1960
zum Paradigmenwechsel, zu einem Formwechsel. Aus den vormals gerundeten
Körpern werden Skelette, aus den Lebenden nur noch Lemuren.
Alles nun erschien als Endzeit, als ein memento mori, es wurden
lauter Endzeit-Menetekel, in tragischen Verdüsterungen.
Wieso das? Ich sprach mit ihm eingehend darüber. Es war die
Gegenreaktion des Künstler auf die Prosperity der deutschen
Wirtschaftswunderwelt, nicht etwa Ergebnis einer persönlichen
Not. Es war das Gefühl, als Künstler nun ausgegrenzt zu
sein. Der Künstler wurde in einer Zeit politisch einschneidender
Veränderungen in eine Sonderrolle abgedrängt. Wo äußerer
Jubel herrschte, registrierte Baumgartner das Bedrohliche dieser
Situation - und eine zunehmende Geringschätzung geistiger und
verantwortungsbewußt künstlerischer Arbeit. Baumgartner
erinnerte sich im Gespräch: " Man steht außerhalb
und weiß gar nicht, warum alle jubeln. Das Leben - von einem
Tag auf den anderen - geriet immer mehr zum deprimierenden Abenteuer."
In der Bewahrung des eigenen Selbst erkannte Baumgartner: "
Wer Zweifel äußerte, dem wurde die Lebensgrundlage entzogen."
Künstler, die sich in engagierter Weise mit dem Menschen dieser
Zeit, mit dem Bild des Menschen, beschäftigten, wurden in eine
politisch linke Ecke gestellt, abgeschoben gleichsam in den östliche
Teil Deutschland - als eine womöglich subversive Kraft. Für
Baumgartner endete diese Phase der Düsternis 1962. In seinen
Fältelungen, den Ein- und Ausstülpungen seit jenen Jahren,
bis zu den grell getönten und magisch beleuchteten Figuraltänzen
aus neuerer zeit ist vieles mythologisch und religiös definiert.
Damit reüssierte er seit den siebziger Jahren vor allem in
Italien. Seit 1983 wurde er im Rheinland durch die Düsseldorfer
Galerie Blaeser vertreten, an deren Sommerkursen in der Eifel er
noch lange Unterricht gab. In München war er für die Kirchen
St. Maximilian und St. Benno tätig, in Wasserburg am Inn für
St. Konrad. Sein erstes Farbfenster entstand 1966 für St. Josef
in Puchheim bei München: "Das himmlische Jerusalem".
In der permanez seiner Methodik eng geführter, sich zu Brennpunkten
hin verdichtenden Strichlagen und flächig gewölbter Illuminationen
ist vieles von dem enthalten, was anders nicht sagbar zu sein schien,
oft in verschlüsselter Weise. Ein höchst sensibles Gemüt
entließ sich selber ins variable Schema einer zauberischen
Welt der molluskenartigen Phantastik. Vieles blieb Sehnsucht, manches
ist Satire. Es ist die Ironie des Romantikers, der alles miteinander
verschmelzen läßt, oft aus dem Geheimen herausgestülpt.
Die Sprache seiner Bilder zu entschlüsseln versuchte der in
Impruneta bei Florenz ansässige Kunsthistoriker Florens Deuchler
in seiner großen, 1998 bei Schnell & Steiner vorgelegten
Monographie. Sie ist reich an eigenen Aussagen des Künstlers.
So ist alles getan, fast alles, meinen wir: ein vollendetes Künstlerleben,
ein vielgestaltiges Werk, eine respektable Reputation. Im Parterre
eines Hauses an der Münchner Heßstraße installierte
er eine Art Privatmuseum.
Was ist zu tun? Gedenket meiner in Liebe und Demut, möchte
er wohl sagen, weit über diesen Tag hinaus. Ihr habt mein Werk,
meine Bild gewordene Sprache des Füreinanders, des Miteinanders,
der Freude und der Einsamkeit. Ich habe gegeben, was in meinen Kräften
stand, was mit meinen Mitteln möglich war. Meine körperlichen
Kräfte mußten versagen, versiegen, doch Ihr habt die
Kraft meiner Bilder.
Danke, Fritz Baumgartner.
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